Valsartan – vielleicht nur die Spitze eines Eisberges ?
Ein weiterer Skandal erschüttert das ohnehin angegriffene Vertrauen von Patienten in die Arzneimittel:
Wie sich jetzt herausstellt, kam es jahrelang zum Verkauf von verunreinigten Chargen des Blutdrucksenkers Valsartan.
Betroffen sind Chargen so gut wie aller Pharmahersteller.
Betroffen sind zudem Patienten in 23 Länder, wohl gut 900.000 Patienten davon allein in Deutschland.
Nach gegenwärtigem Sachstand soll der Verkauf des verunreinigten Medikaments durch Lücken im Kontrollsystem ermöglicht worden sein. So hatte der chinesische Wirkstoff-Produzent zwar 2011 von der zuständigen europäischen Prüfbehörde EDQM eine Konformitätsbescheinigung für seinen Valsartan Wirkstoff erhalten.
Nur ein Jahr später stellte die Firma ihren Herstellungsprozess aber offenbar um. Seit-dem soll bei der Produktion des Wirkstoffes auch die Substanz Nitrosamin entstanden sein.
Die EU und die internationale Agentur für Krebsforschung stufen Nitrosamin beim Menschen als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.
Zu Recht ist zu fragen, wie eine Verunreinigungen mit einem potenziell krebserregen-den Stoff in einem Arzneimittel so lange unentdeckt bleiben konnte.
Seit wohl 6 Jahre sollen die Hersteller – obwohl sie dem Arzneimittelgesetz unter-stehen – sowie die Kontrollbehörden von der Verunreinigung keine Kenntnis gehabt haben. Experten monieren bereits unzureichende Kontrollen und eine Vernach-lässigung des Vertrauensschutzes.
Besonders heikel: Während der chinesische Produzent das Problem zu bagatellisieren versucht, hat es tatsächlich eine Dimension, die nicht einfach vernachlässigt werden kann und darf.
Nach ersten Stichprobenanalysen des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker fanden sich in einzelnen Tabletten bis zu 22 Mikrogramm NDMA. Zum Vergleich waren der „Pharmazeutischen Zeitung“ folgende Werte in Lebensmitteln zu entnehmen: Für geräucherter Schinken maximal 2,5 Mikrogramm NDMA pro Kilogramm, für Bier existiere ein technischer Richtwert von 0,5 Mikrogramm pro Kilogramm!
Eine Ausweitung des Skandals auf andere Arzneimittel bzw. andere Hersteller ist angesichts des Kontroll-Lecks möglich und wird derzeit geprüft. So rief der Pharmahersteller Hormosan vor Tagen seinen Blutdrucksenker Irbesartan gleichfalls teilweise zurück, da eine produktionsbedingte Verunreinigung von Chargen nicht ausgeschlossen werde könne.
Der Umfang schockiert!
Längst sind Arzneimittel zum reinen Massenprodukt und internationalen Handels-objekt geworden.
Beängstigend der Umstand, dass trotz der enormen Bedeutung von Medikamenten für die Gesundheit die Kontrollen mit diesen „Auswüchsen“ offenkundig nicht Schritt halten.
Noch unfassbarer, wie lange geeignete Reaktionen von behördlicher/ staatlicher Seite auf sich warten lassen und Patienten im Unklaren gelassen werden.
Man vergegenwärtige sich nur die Situation mit dem Abgasskandal. Wie kann es sein, dass zu Diesel-Kfz ein größerer Aufschrei erfolgt als zu einer jahrelangen Krebsge-fährdung von hunderttausenden Menschen?
Wie kann es sein, dass Patienten was ihre Gesundheit anbelangt, immer noch regel-recht entmündigt werden, indem man ihnen wichtige Informationen vorenthält, die für die eigene Entscheidungsfindung wichtig sind und erkannte schlimme Folgen baga-tellisiert?
Zum Glück stelle ich fest, dass immer weniger Patienten bereit sind, diesen Missstand einfach hinzunehmen. Die Bereitschaft, sich zu wehren und für seine Gesundheit einzutreten, wächst.
Und das ist die einzig richtige Antwort:
Wenn von Seiten der Betroffenen keine Reaktionen folgen, wird sich nichts ändern, wird man weiterhin über die Patientenbelange hinweggehen.
Und Patienten haben allen Grund, zu fordern: Immerhin geht es um ihre Gesundheit und damit ihr wichtigstes Gut. Es geht um ihre Lebensqualität und bisweilen auch um Existenzen.
Vielen Betroffene sprechen von einer unheimlichen Wut, die sie empfinden.
Andere werden aktiv, da sie sich nicht mehr alles gefallen lassen und auch ein Zeichen setzen wollen. Manche sind völlig verunsichert und verängstigt, welche gesundheit-liche Folgen auf sie zukommen könnten und wollen eine Absicherung.
Prävention, Aufklärung, Schadensersatz oder Schmerzensgeld.
Doch egal, welche Gründe es sind. Es gibt keinen besseren Grund, als den, dass es schlichtweg um „Sie“ geht, um „Ihre“ Gesundheit!
Schauen wir nochmals auf den Abgasskandal: Welche Flut an Schadensersatzklagen prasselt seitdem nieder! Dort geht es um Autos – hier um Menschen!
Will man sich als Patient weniger wert sein, als ein Auto? Das wäre nicht nur eine falsche Entscheidung angesichts der eigenen schützenswerten Belange, sondern auch ein fatales Zeichen für die Gesundheitspolitik.
Mit besten Grüßen
Ihre Fachanwältin für Medizinrecht
Glufke-Böhm