Was sich in unserem Kanzleialltag immer mehr abbildet, hat sich nunmehr bestätigt:
Es gibt immer mehr Probleme mit Implantaten!
Implantate, die ohne Belastung brechen, Unverträglichkeiten auslösen, die zu groß oder zu klein sind, die aus Billigmaterial hergestellt wurden oder gar Prothesen, die in der verwendeten Form gänzlich unbekannt sind. Die Liste der von uns bearbeiteten Fälle ist lang und verwundert immer mehr.
Das aktuelle Recherche-Ergebnisse u.a. des NDR, WDR sowie der SZ in Zusammenarbeit mit dem Konsortium für Investigative Journalisten („Implant Files“) schockiert jedoch: Die Zahl der nachgewiesenen Probleme mit Medizinprodukten war 2017 so hoch wie nie!
Zudem hat sich die Zahl der Verdachtsmeldungen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht. So wurden letztes Jahr insgesamt 14.034-mal Verletzungen, Todesfälle und andere Probleme im Zusammenhang mit Medizinprodukten gemeldet.
Dass diese Vorkommnisse wohl nur die „Spitze des Eisbergs“ sind, ergaben nunmehr die Ermittlungen der Medien. Diese gehen von erheblich höheren Fallzahlen aus, da sowohl die Hersteller, als auch Ärzte und Krankenhäuser dem Staat nur wenige Fälle melden – trotz Meldepflicht.
Untermauert wird dies u.a. mit den Zahlen zu Brustimplantaten.
Hier stehen 3.170 Operationen zur Entfernung der Implantate allein wegen schmerzhaft um die Silikonkissen vernarbten Gewebes lediglich 141 gemeldete Fälle gegenüber.
Die erheblichen Divergenzen scheinen bislang nicht aufgefallen zu sein.
Zwar bestätigt das Bundesgesundheitsministerium, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als zuständige Behörde einen Anstieg von Meldungen verzeichnete. Die Gründe hierfür seien jedoch unklar.
Dies verwundert.
Noch mehr staunt man aber über den Umstand, dass elementare Daten, z.B. wie viele Medizinprodukte überhaupt zum Einsatz kommen, gar nicht erfasst werden.
Ebenso erfolgt die Kontrolle und Zertifizierung der Geräte in Europa durch private Unternehmen wie TÜV und DEKRA. Diese wiederum agieren im Auftrag der Hersteller.
Dies und die Tatsache, dass die Behörden es fast immer den Herstellern überlassen, selbst fehlerhafte Produkte zurückzurufen oder Sicherheitswarnungen auszusprechen, macht deutlich, dass der Staat die Kontrolle über den heiklen Markt der Medizinprodukte verloren hat – oder nie hatte.
So sollen seit 2010 seitens der Hersteller rund 1.000 Rückrufe bzw. Warnungen erfolgt sein, während sich die Behörde wohl nur zu 6 Rückrufen in dieser Zeit veranlasst sah.
Zudem bleibt es bezüglich der fehlerhaften Produkte zumeist bei Untätigkeit. So sollen selbst bei Produkten der höchsten Risikoklasse, wie Herzschrittmacher, Knieprothesen oder Brustimplantaten zwischen 2005 und 2016 keine Maßnahmen ergriffen worden sein.
Ebenfalls gravierend: Regelmäßig kommen nach den Recherchen Implantate zum Einsatz, die kaum getestet worden sind. So soll aus internen Unterlagen des Gesundheitsministeriums von 2016 hervorgehen, dass lediglich für eines von zehn Medizinprodukten der höchsten Risikostufe klinische Daten existieren!
Der Patient wird somit zum Versuchskaninchen mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für seine Gesundheit.
Die Medien stießen bei ihren Ermittlungen zudem auf ein breites Schweigen zu den Fällen.
So könnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Über-wachungsbehörde zwar mitteilen, welche Medizinprodukte sich als besonders gefährlich für die Patienten erwiesen haben. Hierzu wurden jedoch Auskünfte verweigert. Auch das Gesundheitsministerium zeigt sich verschwiegen und lässt die Patienten zu den betroffenen Prothesen/ Implantaten und Geräten im Unklaren.
Damit auch von Patientenseite nichts nach außen dringt, werden zudem Schadens-ersatzzahlungen der Hersteller zumeist an Verschwiegenheitsklauseln geknüpft.
Obwohl ein überragendes Interesse an derartigen Informationen besteht, sehen sich Patienten mit einer regelrechten „Mauer des Schweigens“ konfrontiert.
Dass insoweit das BfARM zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium den Herstellern „beisteht“, ist schwer erträglich.
Während einerseits das Bild des mündigen Patienten und das verfassungsgeschützte Recht auf Aufklärung gerade von ministerieller Seite seit Jahren beschworen wird, hält man Patienten andererseits in bewusster Unwissenheit.
Wer nicht um die Gefahren und Risiken weiß, ist ein willfähriger Patient.
Immerhin geht es um einen Milliarden-Markt.
Nach Schätzungen des Gesundheitsministeriums soll das jährliche Volumen des Weltmarktes rund 282 Milliarden Euro betragen, davon das der deutschen Unternehmen 30 Milliarden.
Der Markt wächst weiter und damit das Interesse an möglichst unkritischen Patienten.
Unerschöpflich scheint da auch die Kreativität mancher Ärzte. Gerade bei Wirbelsäulen-Operationen kommen immer wieder „Implantat-Eigen-Kreationen“ zur Verwendung, von denen Sachverständige sagen, Ihnen sei deren Begutachtung nicht möglich. Was zum Einsatz kam sei unbekannt und könne deshalb nicht an den bekannten Maßstäben gemessen werden.
Scheinbar echte Studienergebnisse gepaart mit überzogenen Erfolgsversprechen sollen Patienten zur Operation locken.
Die Fallstricke sind für die Patienten im Vorfeld oft nicht zu durchschauen.
Hinterher besteht Fassungslosigkeit.
Das Fazit, was nach den aktuellen Erkenntnissen zu ziehen ist, ist erschütternd.
Patienten werden gerade in dem höchst sensiblen Bereich der Medizinprodukte unnötig zum Teil auch lebensbedrohlichen Risiken ausgesetzt. Das Interesse am Schutz der Patienten tritt offenkundig vor den milliardenschweren wirtschaftlichen Belangen der Industrie in den Hintergrund. Ein Missstand über den bislang hinweggesehen wurde.
Es bleibt zu hoffen, dass nunmehr gehandelt wird!
Es geht um die Absicherung bereits geschädigter Patienten, die neben ihren gesundheitlichen Problemen wie u.a. chronische Schmerzen und Funktionsverlusten auch mit existentiellen Problemen zu kämpfen haben.
Es geht aber auch um die Patienten, die noch vor den fatalen Folgen fehlerhafter Implantate und Geräte sowie einem fehlenden effektiven Kontrollmanagement ge-schützt werden können und müssen.
Zur Erinnerung: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“.
Ihre Fachanwältin für Medizinrecht
Alexandra Glufke-Böhm